Hessen

Gemeinde Kiedrich

Schild gespalten, rechts in Silber ein roter Turm, links in Rot ein silbernes kreuz-verbundenes Doppelrad.

Von den Siegeln aus der Mainzischen Zeit führen drei die Gerichtsumschrift (I, II, IV). Das Siegel III trägt die stolze Umschrift: SIGILLVM REIPVB(LlCAE) KIDERACENSIS 1641. Res publica (davon kommt unser Wort Republik) ist zunächst das Gemeinwesen, aber schon früh die Bezeichnung für den Staat. Bekannt ist Ciceros berühmte Mahnung: „Videant consules, ne quid res publica detrimenti capiat“ (Die Konsuln mögen darauf achten, dass in keiner Hinsicht der Staat Schaden leide!). Da „consul“ in den nachmittelalterlichen Urkunden auch für Ratsherr steht (wie „praetor“ für Oberschultheiß), ist also mit der Siegelumschrift von 1641 wohl der Rat gemeint. Und so dürfte auch das Siegel VI mit der Umschrift: SIGILL(VM) KIDERAC(ENSE) (Kiedricher Siegel) 1735 ein Ratssiegel sein. Diese Vermutung scheint sich zu bestätigen im Verkaufsakt der Gemeindeschmiede vom 1. Februar 1673. Verkäufer sind zwar Schultheiß, Gericht und Rat; gesiegelt wird aber nur „mit unserem geringeren Rahtßsiegel.

Dass die Nassauische Landesregierung nach 1803 nichts Eiligeres zu tun hatte, als die Mainzer Räder aus den Siegeln zu entfernen, worin ihm Preußen nach 1866 nicht nachstand (Siegel VII und VIII), war und blieb der vergebliche Versuch, Geschichte zu korrigieren und die Verbundenheit von Rheingau und Mainz auszulöschen.

Renkhoff betont, dass sich Kiedrich schon früh von seiner Muttergemeinde Eltville trennt und zu Anfang des 13. Jahrhunderts ein eigenes Gericht hat. In der Tat wird 1260 coram sculteto et scabinis ville Kederche (vor Schultheiß und Schöffen des Dorfes Kiedrich) ein Tauschgeschäft geschlossen. Dann trat als Organ der gemeindlichen Vertretung und Selbstverwaltung im 14. Jahrhundert neben die Schöffen, aber auch unter dem Schultheißen, der Rat. Anfangs hießen seine Mitglieder oft Geschworene, darunter die jährlich neu zu wählenden Bürgermeister, die das Siegel führten und Gemeinderechner waren. Ihre erste Aufgabe war die Festsetzung und Verwaltung der „Bede“', einer ursprünglich landesherrlichen Grundsteuer. So schreibt die Frühmeßurkunde von 1382: „die guden lüde die da wonhafft syn zu kederich myt dem Schultheißen mit den Scheffen und myt den gesworn die zu zyden ubir die bede gen“. Hier werden klar die beiden Gremien, das Gericht (die Schöffen) und der Rat (die Geschworenen) unter dem Schultheißen genannt. Auch bei der Neudotation der Michaelskapelle am 6. Januar 1445 siegeln Schultheiß, Schöffen und der ganze Rat.

Neben Rat und Gericht existierte das Heimgerede oder Haingericht als Verwaltungsorgan und Gericht über die Mark: „Wald, Weide, Wasser, Weg und Steg“. Ursprünglich war es die genossenschaftliche, von Adel und Bürgern getragene Regelung aller öffentlichen Belange. Darüber ist von Dr. W. Dertz hinreichend berichtet in „1000 Jahre Kiedrich“ auf Seite 136. Siegel und Wappen Kiedrichs zeigen das Mainzer Doppelrad und den Turm, den Bergfried der Burg Scharfenstein. Daß den Kiedrichern das immer bewußt war, bestätigt ein Schreiben von Schultheiß und Rat an den Rheingauer Landschreiber vom 3. Nov. 1686, worin es heißt, daß der „Scharpfenstein oder Thurm diesem Flecken von viel hundert Jahren hero (wie dan an uralten gebäwen undt Gemarcksteinen genugsam zu sehen) in ihrem Wappen undt GerichtssigilI allezeit geführt undt biß dato (wie beygetruckt zu sehen) noch würcklich führen thut“.

Gleichwohl schreibt Zaun, es sei doch eher das Kiedricher Bollwerk innerhalb des Rheingauer Gebücks, das im Kiedricher Wappen glänze, und folgt damit Helwich, der auch den Turm vom Bollwerk bei Hausen (ex ag[g]ere prope Hausen) herleitete. Diese Version taucht immer einmal wieder auf. Das Bollwerk bestand jedoch nach der Kiedricher Waldkarte von 1770 aus einem breiten Turm mit Tordurchfahrt für den Fahrweg und seitlichen Anbauten, ähnlich der noch erhaltenen Mapper Schanze von 1494. Um diese Zeit dürfte auch das Kiedricher Bollwerk gebaut worden sein; damals war aber das Wappen mit dem Turm schon rund 100 Jahre im Gebrauch (siehe unten).

Außerdem weist der Turm im Wappen alle Merkmale eines Bergfriedes auf, besonders mit dem Einstieg in etwa 1/3 seiner Höhe keinesfalls aber eine Tordurchfahrt. Die Bedachung besteht aus einem zentralen Turmhelm, begleitet von wahrscheinlich vier ebenfalls bedachten Seitentürmchen, wie es bei Bergfrieden nicht gerade selten ist. So erscheint er in der Rheinkarte von 1573 und noch 200 Jahre später in der o. g. Waldkarte. Nach neuesten Forschungen mithilfe der Dendrochronologie (Bestimmung der Jahresringe des verwendeten Bauholzes) ist der Baubeginn des Turmes nach 1150 anzusetzen und nicht erst um 1215, wie noch überall zu lesen ist. Damit wurde Zaun's Ansicht bestätigt, der sich mit seiner Datierung (um 1160-90) auf einen Canonicus des Mainzer Domes stützte namens Walterus de Scharpinstein, genannt 1191.
Ursprünglich war wohl der Turm das alleinige Wappenzeichen der Gemeinde; so weisen es noch die älteren Grenzsteine aus. Auch auf der Rotguß-Vase im Rathaus findet sich nur der Turm eingeritzt mit der begleitenden Jahreszahl 1489; desgleichen im Deckel der eisenbeschlagenen hölzernen Truhe im Chor der Kirche. Dabei handelt es sich wohl um die 1533-38 erwähnte Baukiste = Kirchenkasse. Im Gerichtsbuch findet sich darüber der interessante Eintrag: „Dem vff der kysten Item die Bawmeister (= Kirchenrechner) gehen dem, so in der sacristey vff der Bawkysten sitzt, die zwo kyrbe (= die zwei Kirchweihen auf St. Valentin und im August) XVlll albos“ (= 18 Weißpfennige).