Hessen

Stadt Frankenberg (Eder)

In Blau ein aus goldenem Dreiberg in blauem Feld wachsender, golden gekrönter, rot-weiß gestreifter Löwe.

Die Hoheitszeichen der Stadt Frankenberg

Im Mittelalter und über die Zeit des Humanismus und der Reformation hinaus hat man sich fast durchweg die Menschen längst vergangener Geschlechter in Tracht und Wesen der eigenen Gegenwart gleich gedacht und sie entsprechend dargestellt. Insbesondere war man überzeugt, daß schon die Juden die Bibel, sowie die Griechen und Römer Wappen gebrauchten. Da ist es kein Wunder, wenn wir auf den Ofenplatten des kunstfertigen Meisters Philipp Soldan zu Frankenberg den Helden Gildeon mit einem Drachen im Schild finden wie David mit seiner Harfe und schließlich Julius Caesar als langbärtigen Ritter in der um 1520 üblichen Rüstung mit dem Adler in Schild und Fahne, den er doch als Vorfahre der römischen und deutschen Kaiser nach Meinung aller damaligen Gelehrten unbedingt geführt haben mußte. So war es für Albrecht Dürer selbstverständlich, Karl den Großen auf seinem berühmten Bild mit dem seit den staufischen Kaisern ausgebildeten Krönungsornat zu bekleiden und ihm zu Häupten als Zeichen der von ihm beherrschten Gebiete die erst seit dem 12. Jahrhundert tatsächlich entstandenen Wappen mit dem Adler des Deutschen Reiches und den Lilien von Frankreich anzubringen:

In dieser Gedankenwelt lebte auch der wackere Wigand Gerstenberg (1457 - 1522), der sich als Geschichtsschreiber Hessens und seiner Vaterstadt bleibende Verdienste erworben hat, und wir, die wir heute in kritischer Quellenkunde geschult sind, dürfen ihm deshalb keinen Vorwurf machen, wenn er ganz treuherzig meldet, Frankenberg habe sein gekröntes "F" und danach die fünftürmige Burg im Siegel bereits von Karl dem Großen aus besonderer Gnade und Gunst erhalten, und diesen Bildern die späteren gold-blauen Stadtfarben zuschreibt. Weiter meint er, Landgraf Ludwig I. von Thüringen habe der Stadt seinen bunten Löwen, jedoch ohne Krone, in dreieckigem Schild als "Sekret" (kleines Rück- und Sondersiegel) verliehen, ferner Landgraf Heinrich I. von Hessen ein neues derartiges "Sekret" mit dem nunmehr gekrönten Löwen, aus einem Dreiberg wachsend. Dessen Krone sei nach Gerstenbergs Landeschronik zum Gedächtnis an die heilige Elisabeth aus königlichem Stamm und zum Unterschied von dem gleichen Löwen der Wettiner in Thüringen angenomrnen worden. Endlich betont Wigand ausdrücklich, jetzt stünden der Stadt Frankenberg insgesamt drei "Ingesiegel" zu, nämlich das große mit der Burg dem Rat und der Gemeinde zusammen, das neue mit dem Löwen über dem Berg dem Rat allein, und das alte mit dem gekrönten "F" der Gemeinde, besonders für Handwerk, Zünfte sowie für Flüssigkeits- und Trockenmaße.

Gerstenberg weiß somit gut Bescheid über die Formen der verschiedenen städtischen Hoheitszeichen und über ihren Gebrauch. Dagegen hat er Art und Zeit ihrer Entstehung zum Teil entweder selbst falsch aufgefaßt - oder aber vielleicht auch bloß seinen Lesern zum höheren Ruhme Frankenbergs in dieser Art weismachen wollen; denn man hatte dazumal kaum Bedenken, aus eigener Phantasie etwas beizusteuern, wo erwünschte urkundliche Belege nicht aufzutreiben waren. Man denke nur an Wigands berüchtigten Zeitgenossen, den Abt Johann Trithemius!

Welchen Weg die Entwicklung in Frankenberg wirklich genommen hat, ist nun so gut als möglich klarzustellen. Frankenberg war zunächst als Burg, durch einen Gewaltstreich der Landgrafen von Thüringen, mitten in die Grafschaft Battenberg hineingesetzt worden. Gerlach von Biedenfeld, ein Vorfahre von Goethe, ist dort als erster Schultheiß nachzuweisen, wird nach C. Knetsch 1206 - 1233, nach E. Anhalt zwischen 1235 und 1244 genannt.
Damals könnte bereits der Schultheiß mit dem Löwen gesiegelt haben, da Gerstenberg die für ihn ungewöhnliche dreieckige Schildform erwähnt. Ebensolche Schildsiegel sind aber für Grünberg 1222, für Kassel 1225 bekannt und nach F. Küch auch für Marburg zu erschließen. Auf diesem Wege kämen wir, wenn der Name Ludwig stimmen sollte, den Gerstenberg nennt, vielleicht wenigstens in die Zeit Landgraf Ludwigs IV. (gest. 1227), des Gemahls der heiligen Elisabeth, zurück.

Als Stadt ist Frankenberg seit 1243 bekannt und schon 1249 finden wir das große Siegel mit der stattlichen fünftürmigen Burg, das bis auf gewisse Einzelheiten sehr stark mit dem von Allendorf an der Werra übereinstimmt und von dem gleichen Künstler geschnitten sein könnte. Das benachbarte Sachsenberg in Waldeck hat mindestens seit 1265 auch eine Burg, jedoch nur mit drei gezinnten Türmen von etwas anderer Form. Ein derartiges stilisiertes Stadtbild in reicher Ausarbeitung war aber eben nur für Siegel geeignet, die mit dem Prägestempel in beliebiger Zahl hergestellt und in aller Ruhe aus nächster Nähe auf ihre Echtheit an der Urkunde kritisch betrachtet werden konnten. Als "Wappen", nämlich Waffenabzeichen auf Feldzügen, brauchte man jedoch farbige Bilder von einfacheren Umrissen, die man an gepanzerten Männern auch in der Bewegung wenigstens bis über Pfeilschußweite, also rund 100 Meter weit, gut erkennen konnte, da der völlig geschlossene Topfhelm das Gesicht verdeckte und auch nicht den Losungsruf gestattete. Wie die meisten hessischen Städte mag auch Frankenberg in der Frühzeit den Löwen schlechthin in Schild und Banner geführt haben, wenn seine Mannschaft unter dem Schultheißen gegen die "Westfälinge" ausrücken mußte. Bald empfand man aber, wie anderwärts, das Bedürfnis, ein besonderes Bild zur besseren Unterscheidung einzuführen, das zugleich auch für ein kleineres Siegel zwecks Wachsersparnis bei dem wachsenden Urkundenverkehr dienen konnte, und nahm als "redendes" Zeichen den goldenen Berg in blauem Feld und darüber den rot-weiß gestreiften und golden gekrönten, wachsenden Löwen an, der neben Hessen sehr wohl auch den Namen "Franken" vertreten konnte. Die Krone des Löwen ist ohne tiefere Bedeutung, kommt schon bei Landgraf Konrad von Thüringen vor, der ja nur Schwager der heiligen Elisabeth und selbst nicht königlicher Abkunft war, und wird sowohl bei den Fürsten wie auch bei ihren Städten später noch öfters weggelassen. Dieses seit 1325 im runden Siegelfeld stehende Zeichen ist von da an bald auch das Wappen der Frankenberger, das sie im Schilde führen und auch in ihr Banner setzen, das 1412 von den Medebachern erbeutet wird. Wigand Gerstenberg selbst hat durch seine Fürsprache beim Landgrafen Wilhelm III. bewirkt, daß Frankenberg 1495 dieses verlorene Banner, das in der Kirche zu Medebach als Weihegabe aufgehängt war, wieder durch ein neues in Ehren ersetzen durfte. Auch Sachsenberg hat sein kleines Siegel und entsprechende Wappen auf seine Art ähnlich aufgebaut, indem es nach dem Muster anderer Städte in Waldeck über der Unterhälte des gräflichen Sterns den geflügelten Stier mit Heiligenschein des Evangelisten Lukas emporwachsen läßt, wie seit 1391 zu belegen ist.

Buchstaben als eigentliches Bild in Siegeln oder gar Wappen sind erst spät in Übung gekommen, hauptsächlich etwa nach 1350. So hat zum Beispiel Johann Klocke, Richter zu Soest, dessen Geschlecht später in Blau drei goldene Glocken führt, um 1367/68 im Siegelrund ein "K". Diese Anfangsbuchstaben erscheinen bald mit einer Krone geschmückt bei Leuten aller Stände: 1384 hat eine Henne Rese im Hanauischen ein gekröntes "R", 1392 Friedrich Enshemmer, Prior des Klosters Meerholz, ein gekröntes "F" (Vorname!), 1393 Heinrich von Siegen, Frühmesser zu Königsberg (bei Hohensolms, Kreis Wetzlar), ein gekröntes "H", 1395 Conrad Rode, Pfarrer zu Berstadt in der Wetterau (Kreis Büdingen), ein gekröntes "C", dann als regelrechtes Wappen etwa um 1400 eine Hausfrau Kunigunde in rotem Schild ein gekröntes weißes "y", und ein Messerschmied in weißem Feld ein gekröntes schwarzes "T", wie im Wappenbuch von Sankt Christoph auf dem Arlberg zu sehen. So entspricht das gekrönte "F" der Stadt Frankenberg, oft golden in Blau dargestellt, durchaus einer allgemein verbreiteten Sitte und ist nicht mehr wert als das ungekrönte "F" der freien Reichsstadt Frankfurt, die eher Ursache gehabt hätte, ihre Beziehungen zum König auf solche Art auszudrücken. Jede Stadt hat in jener Zeit ihren Anfangsbuchstaben als sogenanntes "Gemerke" verwandt, um damit Dinge "anzumerken", für die der Aufwand von Siegel oder Wappen nicht lohnte, so etwa zur Kennzeichnung städtischer Erzeugnisse oder Gebrauchsgegenstände, von geeichten Wein- und Getreidemaßen, was auch Gerstenberg angibt, von Rechenpfennigen, kleineren Grenzsteinen und dergleichen mehr, wie es der tägliche Bedarf mit sich brachte. Diese Marke hatte also die gleiche Bedeutung wie das spätere Monogramm, wurde auch spielerisch wiederholt nach der Art, wie Adolf von Breithardt (gest. 1491), kein Adeliger, sondern ein schlichter Bauernsohn, der sich nach seinem Geburtsort im heutigen Kreise Untertaunus nannte, als Domscholaster in Mainz zunächst ein, dann aber drei gekrönte "A" (2:1) im Schilde führte. Zugleich ist dies ein Zeugnis für die Wertschätzung des Vornamens, die wir noch bei dem Künstlerzeichen Philipp Soldans zu Frankenberg finden, der sein großes "P" mit einem weit kleineren, quer gelegten "S" kreuzte, ganz wie Albrecht Dürer sein großes "A" über ein kleines "D" stellte.

Die Krone, ein mit Blättern gezierter Metallreif, stellt einen Kranz (lat. "corona") dar und ist von jeher nicht nur als Schmuck der Könige verwandt worden. Die Rangkronen mit verschiedener Perlenzahl für einzelne Adelsstufen sind erst eine blutleere Erfindung der Schreiber und haben sich im praktischen Leben niemals völlig durchgesetzt, wie z. B. 1736 der Graf von Leinigen-Hardenburg und sein bürgerlicher Amtmann eine Urkunde gemeinsam friedlich mit der gleichen fünfzackigen Krone über ihren beiderseitigen Wappen, die sich nur in der Größe unterscheiden, besiegeln! Mit Recht hat auch der Freistaat Hessen die Krone über seinem Löwenschild als Zierde beibehalten und bezeichnet sie amtlich als "Laubgewinde", was ganz dasselbe ist.

Wigand Gerstenberg erwähnt mehrfach die 1335 von Hessen begründete Neustadt Frankenberg, nennt aber nicht ihr Siegel. Von etwa 1377 bis 1396 sind laut Aufzeichnungen von F. Küch im Staatsarchiv Marburg Siegel der Neustadt bekannt, die im Rund den dreieckigen Schild mit dem hessischen Löwen zeigen, während ein Abdruck von 1458 ebenfalls einen Dreieckschild enthält, demnach vielleicht von einem noch um 1400 geschnittenen zweiten Stempel stammt. E. Anhalt kannte nur diesen neueren Schild.
Er ist in seiner Länge gespalten, hat vorn in weiß einen der beiden schwarzen Pfähle der Grafen von Battenberg, hinten in Blau den gekrönten bunten Löwen von Hessen. Auf diese Art sind die alten Rechte der Battenberger an dem Grund und Boden anerkannt, die Hessen gegenüber Mainz als dem Inhaber der Grafschaft Battenberg in Anspruch nahm. Die Siegeländerung muß also eine ganz bestimmte politische Bedeutung haben und geht nach W. Görich vielleicht darauf zurück, daß Hessen 1409 endlich Wolkersdorf ganz an sich brachte und daraufhin dem Erzbischof gewisse formelle Zugeständnisse in der Neustadt Frankenberg machte.
Auffallend ist die Tatsache, daß Gerstenberg bei allen von ihm beschriebenen Hoheitszeichen ausschließlich von Sekreten, Ingesiegeln und daneben von Bannern spricht, aber nirgends das Wort "Wappen" gebraucht, auch dort, wo nur dieser Begriff gemeint sein kann. Offensichtlich geht das auf seine Tätigkeit in der Kanzlei zurück, wo er Wappen ja ausschließlich in Siegeln sah, und auf den Umstand, daß Wappenschilde etwa seit 1450 mehr und mehr aus dem Kriegswesen verschwanden, weil die Feuerwaffe sie überflüssig machte. Andererseits sind Entwürfe Wigands zum Stammbaum der Landgrafen erhalten, die er eigenhändig mit ihren Wappen und denen ihrer Frauen in bunten Farben geziert hat, und es erscheint ihm sogar selbstverständlich, daß jedes Siegel auch in Farben dargestellt werden könne. Darin geht er wieder zu weit. Von der fünftürmigen Burg ist nicht anzunehmen, daß sie außer im großen Siegel jemals farbig in einem Schild stand. Gerade der wohlerfahrene Philipp Soldan hat dem mit ausgesprochenen Feingefühl Rechnung getragen, als er das prächtige Ratsgestühl der Stadt Frankenberg schnitzte; denn dort hat er an erster Stelle im runden Feld, von einem gerillten Wulst eingefaßt, die Burg als einwandfreies Siegelzeichen, daneben am zweiten Platz das jüngste Wappen, den Löwen über dem Dreiberg in einem ornamental geschmückten Schild dargestellt und so jedem Teil sein ihm zukommendes Recht gegeben. Dabei sollen auch wir es bewenden lassen!

Hans Joachim von Brockhusen