Hessen

Stadt Rüsselsheim am Main

Auf blauem Grund ein silberner Doppelhaken, dem links unten und rechts oben je ein silberner Stern zur Seite steht.

Bereits 1342 kam der spätere Direktor der Oberforst- und Domänen-Direktion, Karl Friedrich Günther (1790-1868), einer der besten Kenner der hessischen Kommunalheraldik seiner Zeit, zu der Einschätzung, dass man »bei dem Mangel aller näheren Notizen über das Stadtwappen von Rüsselsheim« (HStAD, C 1D Nr. 61) kaum zu diesbezüglich zufriedenstellenden Forschungsergebnissen gelangen könne. Zwar hatte Günther, der sich seit 1816 in seinen »Mußestunden« mit der Wappen- und insbesondere der Siegelüberlieferung der großherzoglich hessischen Städte beschäftigt hatte, versucht, Licht ins Dunkel der Überlieferung zu bringen, ein durchschlagender Erfolg blieb ihm aber verwehrt (Günther 1842/44, S.S. 119. und Günther 1852/53, S. 375).

Um es gleich vorwegzunehmen: Auch die nachfolgenden Generationen hessischer Kommunalheraldiker konnten in den letzten gut 150 Jahren keine grundlegend neuen und vor allem quellengestützten Erkenntnisse zur Geschichte des Rüsselsheimer Wappens vorlegen. Im Gegenteil: Das Fehlen einschlägigen Aktenmaterials führte nicht selten zu haltlosen Spekulationen, Missverständnissen und irrtümlichen Auslegungen, die in Teilen bis heute fortwirken. Angesichts dieser Ausgangslage - und zumal bis dato weiterführende Quellen eben nur vereinzelt anzuführen sind - kann auch hier kein Anspruch auf eine »letztgültige Wahrheit« erhoben werden. Angestrebt wird jedoch eine chronologische und möglichst objektive Darstellung der Entwicklung des Rüsselsheimer Wappens, die bezüglich der Deutung der Wappenelemente eine klare Abgrenzung zwischen fundiertem Sachverhalt und unbelegter Behauptung bietet.

Die Wappenentwicklung
Geradezu symptomatisch für die Geschichte des Rüsselsheimer Wappens ist, dass sie zu Beginn des 17. Jahrhunderts mit einem leeren Blatt einsetzt. Während andere vergleichbare hessische Städte in Wilhelm Wessels 1623 erschienenen »Hessischen Wappenbuch« mit einer Wappenabbildung vertreten sind, blieb die für Rüsselsheim unter der Nr. 69 vorgesehene und bereits betitelte Seite ohne weitere Begründung leer (Korn 1984, S. 59). Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund sind die ältesten Rüsselsheimer Siegel maßgebend für die frühe städtische Wappenüberlieferung.

Nachweislich führte Rüsselsheim spätestens seit 1605 ein Gerichtssiegel (Demandt/Renkhoff 1956, Nr. 520, S.142), dem im Laufe des 17. Jahrhunderts ein zweites folgte.

Beide Siegel zeigen als Wappenbild bereits den Doppelhaken (Wolfshaken), der rechts unten und links oben von je einem Stern beseitet ist, im Schild. Obwohl es sich bei beiden Exemplaren um durch die Umschriften ausgewiesene Gerichtssiegel handelt, können diese jedoch auch als Ortssiegel und damit als Belege für ein geführtes Ortswappen angesehen werden (Günther 1843, S. 119).

Neben dem Wappen auf den frühen Gerichtssiegeln, das letztlich die Grundlage für das bis heute geführte Stadtwappen bildet, existierten im 18. und 19. Jahrhundert aber mindestens zwei weitere Varianten des Rüsselsheimer Wappens. So sei für das Jahr 1790 ein bislang nicht auffindbares Gerichtssiegel belegt, das im geteilten Schild oben einen schreitenden hessischen Löwen mit Schwert und unten den Wolfshaken mit zwei Sternen zeige (Demandt/Renkhoff 1956, Nr. 520, S. 142). Bereits Günther hatte um 1840 versucht, Nachweise für dieses Gerichtssiegel und eventuell weitere Rüsselsheimer Stadtsiegel zu finden. Ein nicht näher benannter Helfer Günthers, der deshalb extra nach Rüsselsheim reiste, gab ihm jedoch am 9 November 1841 zur Auskunft: »Vor einem alten Siegel überhaupt, welches anders gestaltet als das gegenwärtige [das Siegel mit Wolfshaken und zwei Sternen; Anm. d. Verf.], wollte niemand etwas wissen, auch nicht der ehernalige Amtsschreiber bei dem Amt Rüsselsheim« (HStAD, R 3 Nr. 12/19). Gleichwohl wurde in der Literatur des 19. Jahrhunderts - unter Umständen mit Rückgriff auf das Gerichtssiegel von 1790 - auch der hessische Löwe im Schild als Rüsselsheimer Ortswappen angegeben. Demnach habe Rüsselsheim »einen links gewendeten gekrönten Löwen mit vier gleichen Querstreifen und doppelknötigem Schwanze« (Walther 1854, S. 332) oder auch »den hessischen Löwen« in einem blauen Schild mit schwarzem Bord (Kissel 1893, S. 61) als Wappen geführt.

Diese Zuweisungen dürften jedoch auf einem Irrtum beruhen. Immerhin dokumentieren gleich mehrere städtische Siegelmarken und Farbsternpel der Rüsselsheimer Bürgermeisterei aus der Zeit des Großherzogtums Hessen die alleinige Verwendung des aus Wolfshaken und Sternen zusammengesetzten Wappens.

Zur formalen Bestätigung und amtlichen Verleihung des Wappens kam es hingegen erst nach dem Ende der Monarchie. Ausgangspunkt waren dabei die Anfang der 1920er Jahre geleisteten Vorarbeiten des Lokalhistorikers Wilhelm Hermann Diehl (1858-1930) für eine Ortschronik von Groß-Gerau. Im Zuge der Anfertigung des Manuskripts wurde er vom Hessischen Staatsarchiv Darmstadt dazu angeregt, sämtliche Gemeindewappen des Kreises zu recherchieren, Daraufhin legte Diehl 1921 seine Ergebnisse in Form von alten Siegelbelegen und darauf basierenden neuen Wappenentwürfen für die Städte und Gemeinden dem Verband der Bürgermeister des Kreises vor. Nach erfolgter Zustimmung durch die Bürgermeister »wurde durch Vermittlung des Kreisamtes Groß-Gerau in den Jahren 1925-27 die ministerielle Genehmigung für jedes dieser Wappen erwirkt« (Demandt/Renkhoff 1956, S. 11). Für Rüsselsheim bedeutete dies die Bestätigung des durch die historische Siegelüberlieferung gesicherten Wappenbildes. Diehl schlug als Wappen vor: In Blau ein silberner, aufrecht stehender Doppelhaken (Wolfshaken), rechts unten und links oben beseitet von je einem silbernen sechsstrahligen Stern. In dieser Form wurde das Wappen im Jahr 1926 durch das Ministerium des Innern amtlich genehmigt. Ende der 1980er Jahre zeichnerisch neu gestaltet (Ritt 1991, S. 7), wird das Wappen bis heute unverändert von der Stadt Rüsselsheim geführt.


Die Wappenelemente
So unzweifelhaft die Siegelbilder der beiden aus dem 17. Jahrhundert stammenden Gerichtssiegel die Maßgabe für das Erscheinungsbild des Rüsselsheimer Wappens darstellen, so mehrdeutig sind bis heute die verwendeten Bestandteile.Rüsselsheim führt eben kein »redendes« und damit sich selbst erklärendes Wappen. Da zudem historische Dokumente zur Einführung bzw. Deutung des Wappens - wie bei vielen anderen Gemeindewappen auch - nicht nachweisbar sind, war und bleibt genügend Interpretationsspielraum. Insofern kann auch hier die Erklärung der »Gemeinen Figuren« und Tinkturen des Rüsselsheimer Wappens nur unter Vorbehalt erfolgen.

Wolfshaken
Trotz anders lautender Deutungsversuche handelt es sich bei der zentral im Rüsselsheimer Wappen angeordneten Figur mit großer Sicherheit um einen Doppel- bzw. Wolfshaken. Dieser ist heraldisch normiert und wird durch die amtliche Wappenbilderordnung auch als solcher ausgewiesen (Wappenbilderordnung, 1986, Nr. 9352). Die oftmals fälschlicherweise verwendete Bezeichnung »Wolfangel« resultiert hingegen aus einem falschen Verständnis dieses mittelalterlichen Jagdgerätes. Im Grundaufbau besteht es letztlich aus zwei Teilen: zum einen dem Wolfsanker, der als halbmondförmiges Eisen mit Öse und Kette in eine Ast- oder Baumgabel gehängt wird, und zum anderen dem Doppelhaken, der an der Kette mit einern Fleischköder befestigt ist. Erst das Zusammenspiel beider Elemente ergibt das effektive Jagdgerät, das in der heraldischen Literatur auch dementsprechend beschrieben wird (etwa: Horstmann 1955, S. 17-22 und Haberstock 1984/1985, S. 20-23).

Angesichts dieser aus der Wolfsjagd entlehnten und heraldisch klar spezifizierten Figur dürften weitergehende Interpretationsversuche des »Hakens« kaum zielführend sein. Dies gilt - neben der Deutung als Enterhaken mit Bezug zur Mainschifffahrt oder als Bauhaken zum Verbinden von Mauerteilen - vor allem für die Auslegung des Doppelhakens als »eine sog. Geheimrune aus der Übergangszeit zwischen Heidentum und Christenheit« (Metzner 2014, Stadtwappen, S. 41). Hierfür existieren keine belegbaren Anhaltspunkte, und so gehört »jede Bedeutungszuweisung, die im Falle des Doppelhakens über die eines mittelalterlichen Alltagsgegenstandes hinausgeht, (...) ins Reich der Esoterik oder in das der Phantasie« (Peter 2016). Dass der Doppelhaken im Rüsselsheimer Wappen tatsächlich als Teil einer Wolfangel zu identifizieren ist, zeigt unter anderem ein Blick auf Wappen benachbarter Gemeinden. S0 führt etwa das nur 20 km er?tfernte Wolfskehlen (Stadt Riedstadt) - ebenfalls nach der Vorlage eines bereits für das Jahr 1625 belegten Gerichtssiegels - einen silbernen von einem Doppelhaken durchbohrten, springenden Wolf im Wappen. Völlig zu Recht wird hier das der Form nach mit der Rüsselsheimer Wappenfigur identische Jagdgerät erkannt (Diehl 1929, S. 21). Inwieweit jedoch das Vorkommen von Wölfen in und um Rüsselsheim den Ausschlag für die Wahl der Wappenfigur gab, bleibt ungeklärt.

Farbgebung und die beiden Sterne
Naturgemäß lassen sich anhand der Siegelabdrucke des 17. Jahrhundert keine Wappenfarben nachweisen. Auffällig ist jedoch, dass Clemens Kissel aufgrund seiner falschen Annahme, das Ortswappen von Rüsselsheim sei der hessische Löwe, bereits 1893 Blau als Feldfarbe wählte (Kissel 1893, S. 61). Auch eine um 1900 zu datierende Siegelmarke der Bürgermeisterei Rüsselsheim mit dem noch heute gültigen Wappen gibt mittels heraldischer Schraffur die blaue Farbe für das Wappenfeld an. Demnach galt spätestens im 19. Jahrhundert das blaue Feld als Konvention für das Rüsselsheimer Wappen und wurde nicht erst von Diehl in den 1920er Jahren festgelegt. Ob die Farbwahl jedoch als direkter Hinweis auf die seit der zweiten Hälfte des 15, Jahrhunderts bestehende Zugehörigkeit Rüsselsheims zur Landgrafschaft Hessen zu verstehen ist, kann nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden. Dass hingegen der Doppelhakan und die beiden Sterne als Wappenfiguren mit dern Metall »Silber« dargestellt sind, ergibt sich zum Teil bereits aus dem heraldischen Regelwerk. Da bei der Kolorierung des Wappens stets auf eine Farbe ein Metall zu folgen hat, blieben bei der blauen Feldfarbe des Rüsselsheimer Wappens ohnehin nur die Metalle Gold oder Silber als Möglichkeiten für die Ausführung der Figuren.

Dagegen zeigt sich die Beantwortung der Frage nach der Herkunft und Bedeutung der beiden sechsstrahligen Sterne im Wappen im Ergebnis als schillernd und »farbenfroh«. Wenig hilfreich ist zunächst die Interpretation der bis ins 20. Jahrhundert hinein gelegentlich auch fünf- anstatt sechsstrahlig dargestellter Sterne als bloße »Platzhalter«. Sie auf eine Art »Füllmasse« zu reduzieren, die lediglich vorhanden seien, »um die Strenge der einfachen Wolfsangel etwas abzumindern« (Haberstock 1984/85, S. 20), trägt kaum zur Klärung des Sachverhalts bei. Schlichtweg an der historischen Wahrheit vorbei geht jedoch die in der heraldischen Literatur anzutreffende Behauptung, die beiden silbernen Sterne würden »auf die ehemalige Zugehörigkeit zur Grafschaft Katzenelnbogen, die diese Symbole ebenfalls in ihrem Wappen führte«, verweisen. Hier handelt es sich eindeutig um eine Fehlinterpretation, denn schließlich führten die 1479 als Geschlecht ausgestorbenen Grafen von Katzenelnbogen zu keinem Zeitpunkt Sterne in ihrem Wappen (Würth 1917, S: 41-45). Eine mögliche Verwechselung mit dem Wappen der Grafschaft Nidda, das, von Schwarz und Gold geteilt, oben zwei achtstrahlige silberne Sterne zeigt, könnte die Erklärung sein, hilft aber bei der eigentlichen Fragestellung nicht weiter.

Im Gegensatz dazu wird von Metzner eine inhaltliche - auf der Grundlage der rechtshistorischen Verhältnisse gewonnene Interpretation der Sterne angeführt (Metzner 2014, Stadtwappen S. 40). Demnach könnten die beiden Sterne »konkret die zwei Bestandteile >Rüsselsheim< und >Seilfurt< der 1476 vergrößerten neuen städtischen Gemeinde (...)« symbolisieren. Somit wären die beiden Sterne als »Kennzeichnung eines Zusammenschlusses« - mit dem zusätzlichen Hinweis auf den Besitz Rüsselsheims von »zwei (...) Schöffen-Stimmen im Markgericht« - zu werten. Trotz dieser rechtsgeschichtlich sicher zutreffenden Konstellation kann deren Übertragung auf die Wappengestaltung nur als eine bislang durch Quellen nicht belegbare Theorie gelten. Sie ist lediglich ein Erklärungsversuch, dessen Argumente zwar nachvollziehbar, aber eben in Bezug auf die heraldische Fragestellung nicht fundiert sind. Insofern bleiben die beiden Sterne - wie auch der Wolfshaken - im Rüsselsheimer Wappen eine Tatsache, die in letzter Konsequenz bis heute eine historisch nur unzureichend verbürgte Erklärung findet.

Quelle: Lars Adler: Wolfshaken und Sterne. Die Entwicklung des Rüsselsheimer Stadtwappens. S 88-95. Enthalten in: „Zum Ort durch Zeit und Raum. Rüsselsheimer Geschichte von den Anfängen bis zur Frühen Neuzeit. Magistrat der Stadt Rüsselsheim (Hrsg.) Regensburg: Schnell und Steiner, 2017. ISBN 978-3-7954-3260-7“


Zur Stadt Rüsselsheim am Main gehören folgende Stadtteile.
Bauschheim, Stadtteil
Haßloch (Rüsselsheim am Main), Stadtteil
Königstädten, Stadtteil

Eine Übersicht dieser Stadtteile finden Sie auf dieser Wappenübersicht.