Nordrhein-Westfalen

Stadt Tecklenburg

In Silber (Weiß) ein mit einem waagerechten goldenen (gelben) Anker belegter blauer Balken, von drei roten Seeblättern (oben 2, unten 1) begleitet.

Mit Wirkung vom 1. Januar 1975 hat die Gebietsreform, die über unser Land hinweggegangen ist, aus bisher vier Gemeinden, nämlich einer kleinen Stadt und drei Dörfern, eine neue Einheit zusammengefügt, die jetzt den Namen "Stadt Tecklenburg" führt. Daß dabei das Wort Stadt zur Bezeichnung des neuen Gebildes aus vier Ortschaften mit Hügeln und Tälern, Feld und Wald dazwischen seinen Wortinhalt gewandelt hat und etwas ganz anderes meint, als wir aus unserer Geschichte üblicherweise als Städte kennen, ist erst wenigen bewußt geworden. Es kann ja nicht gut von einem Stadtstaat die Rede sein, in dem eine zentrale Stadt über erworbene oder unterworfene Landgebiete herrscht; als Eingemeindungen kann man aber das, was dem alten Tecklenburg dabei angefügt worden ist, auch nicht gut verstehen.
Man hat versucht, dem Tatbestand dieses neuen Gebildes auch im Bewußtsein seiner Bevölkerung gerecht zu werden, indem man ein neues Wappen dafür vorgeschlagen hat. Die alte Formensprache der Heraldik stellt uns ja in den einzelnen Wappen und ihren Figuren Identitätszeichen bereit, unter denen die verschiedensten Zusammenschlüsse wie Gebietskörperschaften, Stiftungen, Familien sich selber wiedererkennen und nach außen darstellen können. Wenn die neue Stadt Tecklenburg etwas anderes ist als jeder ihrer Bestandteile, dann kann sinnvollerweise das Zeichen eines Teilortes nicht einfach für das Ganze stehen, sofern man in der Heraldik eine lebendige, das heißt: zu Wandlungen fähige Bildersprache erblickt. Der Versuch, ein neues Wappen zu formen, das die alten, an Überlieferung reichen Elemente aus den bisherigen vier Ortswappen aufnimmt und zusammenfügt, ist gescheitert. Wenn also in Zukunft das Wappen der bisherigen Stadt Tecklenburg auch das der neuen "Stadt" sein soll, werden die Schilde der drei anderen Teilorte als verwaltungsrechtlich repräsentative Zeichen erlöschen und allenfalls in der Erinnerung fortleben. Die Situation läßt es angebracht erscheinen, einerseits dem verbleibenden, andererseits den fortan vom Vergessen bedrohten Identitätszeichen eine Besinnung zuzuwenden, die das, was ihre Bilder eigentlich aussagen, vor Augen stellen soll.
Die Sitte, Wappen zu führen, ist im mittelalterlichen Schwertadel entstanden; die noch heute selbstverständliche Form des ritterlichen Schildes weist auf diese Herkunft nachdrücklich hin. Von den Adelsfamilien des 12. und 13. Jahrhunderts ist der Brauch dann auf geistliche Stifter, auf Städte und andere Institutionen übergegangen, wozu die Notwendigkeit, daß jemand ein rechtskräftiges Siegel führen mußte, beigetragen hat. Wenn anfangs der farbig bemalte Schild und das als Relief gestaltete, unfarbige Siegelbild ganz verschieden aussehen und nebeneinander bestehen konnten, so sind bald die Wappenschilde (unter Verzicht auf die Farbigkeit) zum bevorzugten Inhalt der Siegel geworden, so daß, wer ein Siegel zu führen hatte, sich zuvor ein Wappen zulegte.
Im Umkreis Tecklenburgs ist diese Entwicklung gut zu beobachten. Ein Bauerndorf wie Ledde hat erst 1967, also vor wenigen Jahren, die Notwendigkeit empfunden, ein Wappen zu führen. Die Beteiligten leben noch unter uns, die bezeugen können, was man sich bei den Figuren des Schildes gedacht hat. Pflugscharen und Grubenlampe weisen auf Landwirtschaft und Bergbau als die Erwerbsgrundlagen der Einwohner hin; der Dreiberg im Schildfuß deutet die Lage im Bergland des Teutoburger Waldes an. Hier liegt das Beispiel einer sehr jungen Wappenschöpfung vor.
Als das Nachbardorf Leeden 1939 ein Gemeindewappen annahm, konnte man an den schwarzen Einhornkopf im silbernen Schilde einer ritterlichen Familie anknüpfen, die sich nach Leeden nannte. Sie ist vom 13. bis zum 16. Jahrhundert bezeugt; im 14. Jahrhundert traten Angehörige des Geschlechtes in Osnabrück auf. Ein bislang unbeachtet gebliebenes Wappenzeugnis berechtigt nun zu der Annahme, daß diese Familie einmal in enger Verbindung zu der geistlichen Institution gestanden hat, die Jahrhunderte hindurch Leedens Mittelpunkt bildete, zum kurz vor 1240 vom Grafen Otto I. von Tecklenburg gegründeten Zisterzienserinnenkloster St. Maria, aus dem in der Reformationszeit das freiweltliche Damenstift Leeden hervorging. Aus dem Gewölbe der alten, 1945 zerstörten Stiftskirche sind vier Schlußsteine von schöner Steinmetzarbeit in den Neubau hinübergerettet worden; der Baugeschichte nach müssen sie um 1370 entstanden sein. Einer davon zeigt, allerdings ohne Farben, einen Schild mit dem gesenkten Einhornsrumpf. Wenn mit diesem Wappen das RittergeschIecht von Leeden gemeint sein sollte, dann wäre es für 1370 als Förderer des Klosters ausgewiesen; ebensogut ist es aber denkbar, daß das Kloster selbst einmal dieses Wappen geführt und die Ritterfamilie es dann von ihm übernommen hat. Jedenfalls weist das Einhorn im Schild deutlich auf die Jungfrau Maria als die Klosterpatronin hin.
Wir wissen heute kaum noch etwas von den Vorstellungen, die das Mittelalter mit diesem Fabelwesen verband. Im AnschIuß an Psalm 22.22 galt es als ein Tier von außergewöhnlicher Stärke. Der aus der Spätantike stammende sogenannte Physiologus, das Buch, aus dem die Menschen jener Jahrhunderte ihre Kenntnisse von Tieren und Fabelwesen bezogen, sagt über das Einhorn: „Nur mit List können die Jäger es fangen. Man nimmt eine Jungfrau und setzt sie an die Stelle im Walde, wo das Einhorn weidet; sobald letzteres ihrer ansichtig wird, legt es alle seine Grimmigkeit ab, läuft zu ihr, und ist sie eine wahre, das heißt keusche Jungfrau, so hüpft es ihr in den Schoß und entschläft da. Nun kommen die Jäger und greifen es."
In christlicher Umdeutung war Jesus das Einhorn, das erst gefangen werden konnte, als es der Jungfrau Maria in den Schoß sprang. Als Sinnbild für ein Nonnenkloster, das nach Zisterzienserart in der Einsamkeit eines Waldtales angelegt und der von diesem Orden besonders verehrten Muttergottes geweiht worden ist, war das Einhorn für die Zeitgenossen so reich an Bezügen, daß es naheliegt, darin ursprünglich ein Zeichen für das Kloster selbst zu sehen. Im 20. Jahrhundert freilich ist dieses denkwürdige Wappen ein Überbleibsel aus einer anderen Welt.
Ein zweiter Schlußstein der Leedener Kirche zeigt einen frühgotischen Schild mit drei kräftig hervortretenden Seeblättern und weist damit eindeutig auf die Grafen von Tecklenburg als das Stiftergeschlecht hin. Vom frühesten Zeugnis an, einem Siegelabdruck Graf Ottos II. von 1272, führen sie diese Dreiheit im Schilde, immer in der Anordnung 2 : 1, also zwei oben, eines darunter. Abgesehen vom ebengenannten Siegel zeigen die frühen Wappen allein die Seeblätter, so auf dem Bruchstück eines Grabsteins in der Tecklenburger Kirche oder in den Siegeln der Grafen Nikolaus I. von 1344 und Otto VI. von 1428; seit 1475 erscheinen sie immer mit einer anderen Figur, dem Anker, vereint im gespaltenen Schild, wobei sie die (heraldisch) rechte, höher bewertete Seite einnehmen. Es ist schon viel gerätselt worden, was diese drei Seeblätter bedeuten und wo sie herstammen sollen; man kann auch heute noch die Ansicht hören, sie seien zu Widukinds Zeit, also am Ende des 8. Jahrhunderts, das Wappen des Herzogtums Engem gewesen, jenes Mittelstücks des altsächsischen Stammesgebietes zwischen West- und Ostfalen. Dieses uralte Wappen sei dann auf die Grafen von Tecklenburg gekommen.
Wenn man diese phantasievolle Verknüpfung prüft, hat man von der Tatsache auszugehen, daß in Mittel- und Westeuropa Wappen überhaupt erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts aufkommen, daß es sie vorher als vererbte Identitätszeichen weder in den Familien des Hochadels noch in irgendwelchen Institutionen, wie ein Herzogtum eine ist, gegeben hat. Das bedeutet, daß die Tecklenburger Grafen der Egbertiner Linie, vor allem der nach 1172 gestorbene Heinrich I. und sein bis 1207 lebender Sohn Simon I., als erste überhaupt in Betracht kommen, für ihr Haus ein Wappen angenommen zu haben. Was sie - oder erst einen späteren Grafen - dazu bewogen hat, die drei roten Seeblätter im silbernen Schild zu wählen, ist schlechterdings unbekannt.

Nun kann man freilich nicht ausschIießen, daß man schon im 12. Jahrhundert die drei Seeblätter in irgendeiner Form, wenn auch nicht als Wappen, mit dem alten Herzogtum Sachsen in Verbindung brachte, das 1180 beim Sturze Heinrichs des Löwen aufgeteilt wurde. Als damals dem Erzbischof von Köln die südwestliche Hälfte unter dem Titel eines Herzogtums Westfalen und Engern übertragen wurde, schlug sich das heraldisch - allerdings erst in späteren Zeugnissen - darin nieder, daß seine Nachfolger das steigende Pferd (für Westfalen) und die drei Seeblätter (für Engern) im Wappen führten. Daß man schon früher den Wunsch hatte, diese Schildfiguren und die damit beanspruchten Rechtstitel als möglichst alt erscheinen zu lassen, belegt eine Lebensbeschreibung des 1075 gestorbenen Erzbischofs Anno von Köln, die 1744 im Kloster Siegburg erschien: In der Tabula Genealogica führt der Verfasser neben anderen auch einen geteilten Schild mit Roß und Seeblättern und der Unterschrift „Sachsen" auf. Demnach wären dem Kölner Erzbistum die Anrechte auf Westfalen und Engern schon im 11. Jahrhundert durch Anno aus dessen ererbtem Eigen zugekommen.
Solche heraldisch-genealogische Fabeleien, bei denen die drei Seeblätter mitspielen müssen, gibt es noch an anderer Stelle. So hat der Herzog Emanuel Philibert von Savoyen (1553-1580) es für wünschenswert gehalten, die Herkunft seines Hauses aus dem deutschen Stamme der Sachsen herzuleiten, und zwar geradewegs von den Herzögen Wittekind und Beroald. Weil er und seine Erben diese genealogische Fiktion auch durch eine Wappenmehrung bekunden, kommen im 16. Jahrhundert das Westfalenroß und die drei Seeblätter ins savoyische Wappen.
Neben den Grafen von TeckIenburg führte ein anderes sächsisches Adelshaus die drei Seeblätter im Schilde, nämlich die Grafen von Brehna als Seitenlinie der Wettiner; von ihnen kamen sie ins Wappen der Linie Sachsen-Wittenberg. In einem 1422 nach deren Erlöschen einsetzenden Erbstreit, der sich über hundert Jahre hinzog und zuletzt vom Kaiser entschieden werden mußte, ging es auch um das Recht, die Seeblätter im Wappen zu führen, weil sich damit bestimmte Besitzansprüche verbanden.
Die heraldischen Konstruktionen des 16., 17. und 18. Jahrhunderts bestätigen, welche Bedeutung man den drei Seeblättern damals beilegte, welches Alter und welche Herkunft man ihnen zusprach. Ob es sich dabei um pure Fabeleien handelte oder ob diesen Ausgestaltungen ältere, unbelegte Überlieferungen zugrunde lagen, ist nicht zu entscheiden. Es wäre zu klären, wie sich die Wappenverwandtschaft der Grafenhäuser von Tecklenburg und Brehna verstehen läßt, ob sich außer der frühen Zugehörigkeit zum sächsischen Stammesherzogtum noch weitere Gemeinsamkeiten aufzeigen lassen.
Die letzte Figur, die in den hier betrachteten Wappen vorkommt, ist der goldene bzw. silberne Anker im blauen Balken, im Falle Tecklenburgs der liegende goldene Anker im blauen Querbalken, im Falle Brochterbecks der silberne Anker im blauen Schrägrechtsbalken mit Wellenschnitt. Der stehende goldene Anker im blauen Feld war das Wappen der Grafschaft Lingen und stammt wahrscheinlich von den Grafen von Vechta her, deren Gebiet seit 1252 zum Hochstift Münster gehörte. Ob man bei dieser Herkunft den Anker als Hinweis auf irgendeine Form von Schiffahrt betrachten darf, muß fraglich bleiben; es genügt, wenn man in ihm das Zeichen Lingens sieht, das schon früh in Beziehungen zu den Tecklenburger Grafen stand: 1184 sind Lingen, Brochterbeck, Leeden und Mellinghausen als gräfliche Oberhöfe bezeugt. Das in zwei Teile, die Ober- und die Niedergrafschaft, getrennte Lingensche Territorium, das mit der ebenfalls zweiteiligen Grafschaft Tecklenburg merkwürdig vermengt war, gehörte bis 1548 den hiesigen Grafen. Dann, im Gefolge des Schmalkaldischen Krieges, entzog Kaiser Karl V. es dem Grafen Konrad und wandte es anderen Herren zu. Damals trennten sich die Schicksale Ibbenbürens und Brochterbecks von denen Tecklenburgs bis 1707, als beide Territorien wieder einer Regierung, jetzt der preußischen, unterstanden.
Von der Grafschaft Lingen haben Ibbenbüren und Brochterbeck den Anker in ihre Wappen übernommen, jenes bei der Verleihung des Stadtrechts 1721, dieses bei der Verleihung des Wappens 1939. Auch der Anker im Schilde Tecklenburgs stammt von dem Lingens her, aber seit früherer Zeit. Schon 1475, als die Tecklenburger Grafen noch über beide Gebiete herrschten, ist durch kaiserliche Verleihung das Wappen Nikolaus` III. um den Lingenschen Anker gemehrt worden; seitdem begegnet der gespaltene oder quadrierte Schild mit Seeblättern und Anker, so im Bildnis des Grafen Konrad von 1543 und in dem auf 1566 zu datierenden Sandsteinrelief, das früher über der Pforte zum Chor der Kirche eingelassen war, seit der letzten Restaurierung aber im Inneren des Kirchenschiffes an der Südwand angebracht ist. Der Schild im Schlußstein des Chorgewölbes weicht insofern ab, als der Anker darin schräggestellt ist; der Leggestempel von 1660 verzichtet auf die Schildform und setzt die Figuren in einen gespaltenen Kreis.
Wenn das heutige Stadtwappen den liegenden Anker im Balken zwischen den Seeblättern zeigt, so findet sich diese Anordnung bereits auf einem Papiersiegel von 1711, mit dem Bürgermeister und Rat der Stadt Tecklenburg ein von ihnen ausgefertigtes Schreiben beglaubigten. Damals hat also die Stadt die heraldischen Figuren des Grafenhauses übernommen, das seit 1707 nicht mehr Landesherr war; daß man den Anker liegend wählte, könnte damit zusammenhängen, daß ein mit dem Grafenhause nicht verwandtes Edelgeschlecht von Tecklenburg den schrägrechts gestellten oder auch den liegenden Anker im Wappen führte. (Das Doppelgrabmal Tecklenburg-Wyck von 1650/1668 am Nordpfeiler der Kirche belegt den liegenden Anker gleich zweimal.) Zwar zeigt ein Siegelabdruck von 1808, also aus der Franzosenzeit, noch einmal den gespaltenen Schild: die drei Seeblätter (heraldisch) rechts, einen schräggestellten Anker links. Doch diese Form blieb für das Stadtwappen Episode. Der Schild in seiner heutigen Gestalt, der nun auch Brochterbeck, Ledde und Leeden repräsentiert, ist demnach auch schon 265 Jahre alt und hat mit kurzer Unterbrechung seither gegolten. Bei Verhandlungen über eine Neufestsetzung des Wappens im Jahre 1909 wurde er zugrunde gelegt; am 3. Oktober 1930 hat das Preußische Staatsministerium das heute gebräuchliche Wappen genehmigt.
Helmut Naumann