Niedersachsen

Samtgemeinde Sickte

In Gold ein schräg links geneigtes Lindenblatt, beheftet mit einem schräggestellten silbernen Richtschwert

Die Blasonierung und Herleitung wird in nachstehendem Aufsatz des früheren Ortsheimatpflegers des Ortes Sickte dargestellt.

Der vergessene Tumulus mit Kalandslinde in Obersickte
- eine Gerichtsstätte und ihre Geschichte -

In der Ratssitzung des Rates der Gemeinde Obersickte vom 11. März 1964 stand unter anderem der Tagesordnungspunkt „Gemeindewappen“ zur Beratung an. Anlaß war das Rundschreiben Nr. 10 des Landkreises Braunschweig vom 6. Februar 1964 betreffs Gemeindewappen. Einigkeit herrschte in der Sitzung darüber, mit der sogenannten Kalandslinde und dem Hünengrab eine Wappenvorlage schaffen zu können. Der Ortsbeauftragte für Heimat- und Denkmalschutz machte in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, daß die Fahnen des Männergesangvereins Obersickte von 1857 und die des Turn- und Sportvereins Sickte von 1900 als Emblem den Lindenbaum haben.

In Anbetracht dessen, daß unter dieser Linde seit Jahrhunderten Recht gesprochen worden war, sollte im Wappen auch ein Rechtssymbol mit aufgenommen werden. In der Debatte ob Schwert oder Waage aufzunehmen sei, entschied sich der Rat mit einer Gegenstimme für das Schwert. Ein nach diesen Gesichtspunkten eingeholter Wappenentwurf wurde am 13. Mai 1964 vom Rat der Gemeinde Obersickte gebilligt, dessen Genehmigung durch den braunschweigischen Verwaltungspräsidenten am 27. August 1964 erfolgte. Dieses Wappen zeigt ein in Gold schräg links geneigtes Lindenblatt, beheftet mit einem schräggestellten silbernen Richtschwert. Die Gemeinde Obersickte, die am 1. März 1974 in der neuen Gemeinde Sickte aufging, ist Mitglied der Samtgemeinde Sickte. Die gegenwärtige Samtgemeinde Sickte, wie sie seit der Gebietsreform von 1974 besteht, benutzt laut Samtgemeindebeschluß vom 8. Oktober 1974 mit Genehmigung des Verwaltungspräsidenten vom 13. Februar 1975 dieses Wappen.

Der geschichtliche Hintergrund beginnt im Zeitalter der Glockenbecher und Aunijetitzer Kultur am Ende der Jungsteinzeit [etwa 4000 bis 1750 v. Chr.] und der Kultur der frühen Bronzezeit (1750 bis 800 v. Chr.). In dieser Zeit wird die Entstehung des Hügels der sogenannten Kalandslinde in Obersickte gesehen. Dieser Hügel stand einmal genau so exponiert da und reihte sich in die Kette der Grabhügel, die in vorgeschichtlicher Zeit zwischen Elm und Asse entstanden waren, wie der Tumulus von Evessen und der Galgenberg nördlich von Klein Vahlberg, die wohl heute noch bekanntesten.

Dieser Tumulus (Hügel) mit sogenannter Kalandslinde befand sich am südöstlichen Ortsausgang von Obersickte, im Garten des Grundstücks Schöninger Straße 2. Der Herbststurm des Jahres 1941 warf diese altersschwache und morsche Linde um. Ihre Reste und der Tumulus wurden 1945 beseitigt. Ob sich unter dem Hügel ein Grab befand ist nicht bekannt, obwohl im Volksmund davon gesprochen wurde. Im Herbst 1965 wurde zur Erinnerung daran und zur Bewahrung des Dorfwahrzeichens an diesem geschichtsträchtigen Ort an gleicher Stelle ein neuer Hügel errichtet und eine Linde darauf gepflanzt). Über die Bezeichnung Kalandslinde gibt es keinen eindeutigen Hinweis; wann und warum die Linde den Beinamen „Kalandslinde“ erhielt, bleibt unbekannt.

Schon in der jüngeren Steinzeit sind feste Siedlungen einer bäuerlichen Bevölkerung nachweisbar. In diese Zeit fällt die mutmaßliche Entstehung des Sickter Tumulus, und somit kann auch hier schon eine Ansiedlung vorhanden gewesen sein. Die erste urkundliche Erwähnung von Sickte in der karolingischen Königsurkunde vom 10. Juni 888 n. Chr. unter der Namensform „Kikthi“ sagt nichts über das wirkliche Alter dieses Ortes aus. In der Urkunde König Heinrichs II. vom 24. Juli 1042, ausgestellt in der Pfalz Tillida am Südharz in der Nähe des Kyffhäusers, ist ein weiterer Hinweis auf Sicktes Vergangenheit. Darin schenkte der König seinem Dienstmann Sehard unter anderem einen Mühlstein mit Mühle in „Sicudi“ (Sickte)°). Der nunmehrige Kaiser Heinrich II. übertrug im Jahre 1051 die Gerichtsherrschaft über das gesamte brunonische Gut dem Hildesheimer Bischof Azelin als Lohn für treue Dienste.

Die Freiengerichtsstätte in Sickte ist mit Sicherheit vor der Gründung des Herzogtums Braunschweig, also vor 1235, vorhanden gewesen, die der Herzog bei der Übernahme der vollen Gerichtsbarkeit anerkannte. Am 21. Juni 1217. hielt Graf Konrad von Wernigerode bei Gicchenthe (Sickte) ein Grafengericht. (Die Namensform Gicchenthe ist auf die damals häufige Verwechslung der Buchstaben „K“ und „G“ zurückzuführen). Hier übertrug Kaiser Otto IV. den Edlen Hermann und Otto von Harbke das Schloß Harbke mit allem Zubehör, welches jene ihm als freies Gut übergeben hatten, zu Lehn. Da es sich im vorgenannten Falle um freies Gut handelte und Harbke zur Grafschaft Wernigerode gehörte, konnte rechtlich die Auffassung nur vor dem Freiengericht zu Sickte erfolgen. Die Belehnung war verbunden mit der Verpflichtung (Versprechen) zur Reichshilfe dem Kaiser gegenüber, an dessen Heerzügen teilzunehmen und dafür auf Abruf Ritter und Bedienstete bereitzustellen. Bei Nichteinhaltung hatten sie 300 Mark Silber zu zahlen. Als Garanten für die Sicherstellung dieser Summe wurden 20 Personen namhaft gemacht und namentlich aufgeführt. Abschließend bekundeten 14 Zeugen und Schöffen durch ihre Unterschrift die Richtigkeit dieses Vertrages. Es waren fünf Grafen und neun Edle aus der Grafschaft Wernigerode. Diese uns Auskunft gebende Urkunde wurde am 21. Juli 1217 in Salzdahlum ausgestellt. Sie ist eine der wenigen Urkunden des 13. Jahrhunderts und der Zeit davor.

Aufgrund des sächsischen Landrechts (I8 § 11) gehörten sieben Schöffen einer Gerichtssitzung an. Die Anzahl der Schöffen in der Zeit des späten Mittelalters variierte zwischen sieben und zwölf. Im Schöffenamte aber war der Grundbesitz freien Gutes von mindestens drei Hufen erforderlich (Sachsenspiegel III. 81 § 1) und nur in einer bestimmten Grafschaft berechtigt. Die Gerichtsschöffen, welche das Urteil zu finden hatten mußten aus der ganzen Grafschaft zum Gericht erscheinen. Die Gerichtsbarkeit der Grafenrechte bezog sich nicht auf die ganze Fläche des Landes, sondern nur auf das in ihrem Zuständigkeitsbereich zerstreut und zerrissen liegende Freigut. Besitzungen derjenigen Personen und Corporationen, welche Befreiung von der Grafengewalt (Immunität) verliehen bekommen hatten, kamen daher nicht in Betracht.

Die Grafschaft lag östlich der Oker im Bezirke des Bistums Halberstadt, erstreckte sich von der Schunter bis nahe an den Harz und erfaßte auch den Elmbereich im Umfange des alten Derlingaus. Sie bildete zu dieser Zeit kein geschlossenes Ganzes, sondern bestand aus einzelnen nicht zusammenhängenden Teilen. So ist anzunehmen, daß sich beispielsweise zwischen den genannten Orten Harbke und Sickte andere Orte mit Freigut befanden, aber nicht zur Grafschaft gehörten und somit in Sickte nicht verhandelt wurden. Wie das Unterkunftsproblem für die mit ihrem Gefolge angereisten Persönlichkeiten gelöst wurde, ist unbekannt. Vielleicht bot der nahegelegene, sich westlich der Kalandslinde befindliche Herrenhof bzw. Vorwerk des Wernigeröder Grafen die Voraussetzung dazu. Dieses Vorwerk erwarb im Jahre 1275 das Domstift St. Blasii zu Braunschweig. Dieser einstmals bedeutende und alte Besitz wurde in den nachfolgenden Jahrzehnten aufgeteilt.

Feste Übernachtungsplätze für so viele Personen gab es noch nicht. Wahrscheinlich existierte die Taverne an der Braunschweig-Magdeburger Heer- und Handelsstraße schon. Es war die Zeit, als aus Verkehrsgesichtspunkten Tagesraststätten und Übernachtungsgelegenheiten geschaffen wurden, die der täglichen Reisegeschwindigkeit von 20 bis 30 Kilometern angepaßt waren. Diese Geschwindigkeit bezieht sich auf eine größere Reitergruppe - so etwa beim Königsumzug mit einem Gefolge von 300 Mann und ohne Troß. Im Fernfrachtverkehr lag die Tagesleistung niedriger; Chausseen entstanden bei uns erst im 18. Jahrhundert. Davor gab es nur Sandwege. Diese Sickter „Taverne“ und spätere Kammerkrug wird 1442 urkundlich benannt, heute Schöninger Straße 12.

Über die Freien in Sickte erfahren wir etwas aus einer Urkunde vom 19. März 1399. Darin gibt der Herzog Friedrich von Braunschweig-Lüneburg seinem Freien zu Sickte eine Erbschaftsordnung. Im Jahre 1571 bestätigt der Herzog Julius von Braunschweig und Lüneburg den Sickter Freien - Geschlechtern Churlande, Cremlinge, Engelken und Jaspers - ihnen ihr Freiengericht in Sickte. Zu diesem Anlaß hatte der Herzog „Übung und Gebrauch des Gerichtes erfragt und aufschreiben lassen“. Das Freiengericht ist eine wenig bekannte zivilrechtliche Besonderheit und noch im 16. und 17. Jahrhundert tätig.

Die Gerichtsstätte des Freiengerichts war vermutlich der Thie nördlich des Dorfes (Obersickte) jenseits der L 625. Außerdem bestand noch ein 1386 dem Cyriakusstift in Braunschweig zustehendes Exekutionsgericht, dessen Gerichtsstätte bei der sogenannten Kalandslinde im südöstlichen Teil des Dorfes gewesen sein soll. Zu diesen beiden Arten der Gerichtsbarkeit kommt noch eine dritte hinzu, das Herzogliche Voigtding (Landgericht). Zu den jährlich zweimal abgehaltenen Landgerichtstagen des Gerichtes Evessen gehörten die Landgerichtsbereiche Eilum und Sickte (mit Obersickte, Niedersickte und Hötzum mit insgesamt 91 Hofbesitzern). Zu diesen Landgerichtstagen mußten alle Hofbesitzer erscheinen. Die Bauermeister (Ortsvorsteher) waren für die Vollzähligkeit verantwortlich. Die Landgerichtstage in Sickte wurden wahrscheinlich in Obersickte auf dem Gemeindeplatz „Wremtenberg“ abgehalten (heute Bahnhofstraße im Bereich der Anlieger Nr. 26, 28, 30, 32, 47 und 49). Zum Beispiel wurde am 10. November 1636 in Sickte Landgericht gehalten. - Wremtenberg ist eine Ableitung von Wruge = Polizeistrafe. -

Das mittelalterliche Dorf war umgeben von einer Dorfbefestigung (Knick), bestehend aus einem Graben und Erdwall, worauf eine Hecke gepflanzt war. Heute noch gut sichtbare Überbleibsel des Erdwalls gibt es am Panneweg, im Grasgarten des Manfred Reuper und der Pferdeweide des Reinhold Bosse, Tiefe Straße Nr. 4 bzw. Nr. 2. Auf letztgenanntem Gebiet befindet sich außerdem eine Erdfalte, die in Richtung der Wegführung des einstmals außerhalb des Dorfknicks verlaufenden Pannewegs zur Kalandslinde führt. - War es der Weg der Büßer und Rechtsbrecher? - Der Name Panneweg kann eine Ableitung des lateinischen Wortes „poenia“ sein und soviel wie Buße oder Strafe bedeuten. Die andere Version wäre die Ableitung vom Wort „Feldhüter, Feldaufseher, Pfänder oder Pfandmann“, denn Richard Andree bezeichnet den Pfänder auch als Pannemann. Heute noch führt der Panneweg am noch vorhandenen ehemaligen Feldhüter- und Hirtenhaus, Bahnhofstraße Nr. 33 und Nr. 35 vorbei.

Der zentrale Punkt außenorts war der Tumulus mit der sogenannten Kalandslinde, im Volksmund der „Lindenplatz“ genannt. Hier befand sich der Hauptdurchgang in das Dorf. Die innerörtlichen Straßen führten hier auf den Platz hinaus. Andererseits mündeten hier die außerörtlichen Wege und Straßen, wie der Panneweg, der Stadtweg nach Veltheim und die nördlich des Dorfes verlaufende Braunschweig-Schöninger Heer- und Fernhandelsstraße (Die Straße nach Cremlingen entstand erst in der Zeit von 1852 bis 1856). War nun diese sogenannte Kalandslinde auch der Versammlungsort der Gemeinde, der Gerichtsort mit dem Lindengehege oder auch Festplatz, auf dem nach Bruegels Bildern die Kinder spielten und dörfliche Feste gefeiert wurden oder fand dies alles oder zum Teil auf dem Thie nördlich der Schöninger Straße [L 625] statt? Eindeutige Beweise darüber gibt es nicht.

Unbestritten bleibt dagegen die Tatsache, daß es den über dreitausend Jahre alten Tumulus mit der Linde gab. Zwanzig Jahre nach seiner Beseitigung wurde zur Erinnerung an dieses uralte Sickter Wahrzeichen an gleicher Stelle ein neuer Hügel mit Linde errichtet.
Otto Köchy


Zur Samtgemeinde Sickte gehören folgende Mitgliedskommunen.
Dettum, Gemeinde
Erkerode, Gemeinde
Evessen, Gemeinde
Sickte, Gemeinde
Veltheim (Ohe), Gemeinde

Eine Übersicht dieser Mitgliedskommunen finden Sie auf dieser Wappenübersicht.