Niedersachsen

Gemeinde Wendisch Evern

In Blau über einem goldenen Eberkopf zwei silberne Windfedern mit nach innen gewandten Pferdeköpfen. In den drei Winkeln je ein goldenes Herz.

Die Geschichte der Entstehung, Genehmigung und endlichen Behandigung des von dem Heraldiker Gustav Völker in Hannover entworfenen und ausgeführten Wappens für Wendisch Evern ist nicht nur lehrreich, sondern in einigen Akzenten auch erheiternd. Sie an Hand der vorliegenden Akten nachzuzeichnen, mag deswegen sicherlich ohne Ärgernis auch dann erlaubt sein, wenn einige Akteure noch lebendig unter uns weilen, die indessen solchen Abstand von der Sache gewonnen haben dürften, dass sie unser Vergnügen zu teilen vermögen.
Als der Bürgermeister von Wendisch Evern, Basse, sich an den Landkreis Lüneburg antragstellend wandte, ein vorgeschlagenes Gemeindewappen genehmigen zu wollen, war bereits wichtige Vorarbeit geleistet worden. Man wusste, was in das Wappen aufgenommen werden sollte, man hatte den hannoverschen Heraldiker Völker um seinen Entwurf ersucht und dieser war so umsichtig gewesen, sich beim Staatsarchiv in Hannover zu vergewissern, dass sein Entwurf spätere Genehmigung finden würde. So konnte denn auf die Tagesordnung der Gemeinderatssitzung vom 1. Juni 1960 unter Punkt 10 die Beschlussfassung über die Einführung eines Gemeindewappens gesetzt werden.
Nach dem Vortrage des Bürgermeisters und nach Vorlage des Entwurfs wurde man sich einig und beschloss, die Genehmigung zu beantragen. In seinem Vortrage hatte der Bürgermeister den Inhalt des Wappenbildes erläutert: ,Das gekreuzte Giebelzeichen“, so sagt das Protokoll, „auf blauem Grund mit den nach innen zeigenden Pferdeköpfe sei die Wendische Art. Der darunter stehende goldene Eberkopf sei aus der Entstehungsgeschichte der Gemeinde nach dem langobardischen Herzog Ibor (Eber) entnommen. Die in den drei Winkeln seitlich und oben angebrachten goldenen Herzen deuten auf die Verbindung mit der Stadt Lüneburg hin."

Das in dieser Form angenommene und später auch genehmigte Wappen ist, da von einem erfahrenen Heraldiker entworfen, in Gestaltung und Farbgebung so schön und klar, dass man über die Begründung hinwegsehen darf, an der sicher einiges falsch ist. Wenn das hier ausgesprochen wird, so nicht aus Besserwisserei, sondern um deutlich zu machen, dass gute Gesinnung im Grunde gar keine Fehler gemacht hat, lediglich die Begründung schief ist, so dass man das Wappen gar reinen Herzens begrüßen kann.

Wendisch Evern, ein Nachbardorf von Deutsch Evern, brauchte eine eigenständige Erklärung und Berechtigung für sein Wappen. So wurden aus den Windfedern mit den nach innen blickenden Pferdeköpfen in der Vorstellung der Antragsteller solche der Wendischen Art. Nun ist der schöne Giebelschmuck unserer Bauernhäuser zweifellos ein anheimelndes Charakteristikum des nördlichen Hannoverlandes. Indessen ist es bisher weder gelungen, diese Zier sehr weit in die Vergangenheit zurückzuverfolgen, keinesfalls bis in die Entstehungszeit Wendisch Everns, noch hat man festzustellen vermocht, warum die Pferdeköpfe einmal nach innen und das andere Mal nach außen blicken. Es bedarf also zur Klärung der Wappenzier nicht des Rückgriffs auf die Wenden, sondern man wird sagen dürfen, dass die Windfedern einfach andeuten, dass es sich um das Wappen eines alten niedersächsischen Dorfes handelt.
Mit den Herzen ist es ähnlich. lm Wappen der Stadt Lüneburg ist im Tor der Burg der landesherrliche Wappenschild aufgehängt, der einen blauen Löwen auf goldenem, mit roten Herzen bestreuten Schild zeigt. Die Herzen sind also dem Wappen des Füirstentums Lüneburg entnommen. Dass sie dort rot, hier aber golden sind, entspricht hier heraldischem Bedürfnis, indessen wird man die gute Gesinnung herausfühlen, die nichts anderes bedeuten soll als: wir sind gut Iüneburgisch.Mit dem Eberkopf hat man es aber sicher gut getroffen. Wenn man den einleuchtenden Darlegungen des gelehrten Lüneburger Ortsnamenforschers Prof. Dr. Ludwig Buckmann folgen darf, so begegnet man in dem Grundwort der beiden Everndörfer, die früher Everinge hießen, dem langobardischen Personennamen lbor, zu deutsch Eber, und entsinnt sich, dass in der erst in Italien aufgezeichneten Stammessage von einem Herzog Ibor berichtet wird. So war es ein guter Gedanke, einen natürlichen Eberkopf in das Wappen zu nehmen, das solcherart alles in allem zu einem ,,redenden“ Wappen geworden ist.

Man hatte annehmen können, dass dieses schon vorher vom Staatsarchiv für einwandfrei befundene Wappen rasch von den Behörden genehmigt worden ware. Mitnichten! Als der ausgefürte Entwurf dem Oberkreisdirektor vorgelegt wurde, erkannte dieser als guter Waidmann, dass die Zeichnung gar keinen rechten Eberkopf darstellte. Das Bild sähe, so ließ er wissen, „eher nach einer Kreuzung zwischen Wolf und Wildschwein als nach einem Eber aus“ und verwies dabei auf die Teller (- Ohren), die Zunge und die Gewehre (-Zahne), womit er zweifellos recht hatte. Der Zeichner hätte es einfach gehabt, diese Ausstellungen abzudandern.

Die Gemeinde ließ sich auch einen neuen Entwurf machen, so dass zur Gemeinderatssitzung am 5. Oktober 1960 zusamt den bisher vorliegenden, unter denen man ja schon einmal einen ausgesucht hatte, drei vorlagen. Hier einigte man sich entweder auf den bereits eingereicht gewesenen oder einen neuen, der von dem ersten offenbar kaum abwich, und erbat nunmehr Weiterreichung an den Regierungspräsidenten. Der Oberkreisdirektor reichte den Entwurf weiter, nicht ohne seine waidmännischen Bedenken beizufügen, dass ,,der Kopf im unteren Teil des Wappens kein Eberkopf“ sei, so dass er empfahl, „der Gemeinde aufzutragen, einen anderen Heraldiker zu beauftragen“.

Schon unter dem 8. November 1960 genehmigte der Regierungspräsident das Wappen, nachdem das Niedersächsische Staatsarchiv sein Einverständnis erklart hatte. Der Gemeinde einen anderen Heraldiker anzuraten, sei ihr der dadurch entstehenden Kosten wegen nicht zuzumuten. „Im übrigen ist bekannt, dass Wappentiere kaum jemals naturgetreu sind.“

Der Landkreis teilte nunmehr der Regierung mit, dass er davon absähe, der Gemeinde die Genehmigung zu behändigen und legte umständlich dar, wie ein Eberkopf auszusehen habe, dass jedenfalls die Teller (- Ohren) nicht wie hier „eine Ähnlichkeit mit den verkümmerten Flügeln eines Pegasus haben“ etc., etc.
Nachdem die Gemeinde über ein halbes Jahr ohne Bescheid geblieben war, wendete sie sich unmittelbar an den Regierungspräsidenten und fragte an, wie es mit der Genehmigung stünde.

Nun nimmt sich der Regierungsvizepräsident personlich der Sache an. In einem dreiseitigen Schreiben, in dem der gesamte Vorgang noch einmal erörtert wird und aus dem zu erkennen ist, dass das Staatsarchiv in der Zwischenzeit erneut eingeschaltet gewesen ist, so dass die waidmännischen Bedenken auch dort gewogen waren, sieht er keine Veranlassung, von seiner einmal gegebenen Genehmigung abzugehen: „Die Genehmigung als Staatshoheitsakt ist entsprechend dem einstimmigen Beschluss der Gemeinde ausgesprochen und inzwischen auch dem Niedersächsischen Staatsarchiv mitgeteilt; damit ist das Verfahren abgeschlossen.“ Der Landkreis wird ersucht, die Genehmigung auszufolgen. Am 28. Juni 1961 erhält somit die Gemeinde ihr vom Regierungspräsidenten in Lüneburg unter dem 8. November 1960 genehmigtes Wappen, dessen Beschreibung in der Sprache der Heraldik folgendermaßen abgefasst werden muss. In Blau über einem goldenen Eberkopf zwei silberne Windfedern mit nach innen gewandten Pferdeköpfen. In den drei Winkeln je ein goldenes Herz.

Aus dieser Blasonierung, nach der jeder Heraldiker das Wappen einwandfrei darzustellen vermag, geht hervor, worin die Ursache zu dem hier absichtsvoll ausgebreiteten Streit zu finden ist. Sie beruht einerseits auf der Tatsache, dass der geschulte Waidmann genau erkannte, dass ein Eberkopf in Einzelheiten anders auszusehen habe, als ihn der Graphiker dargestellt hatte, andererseits auf der auch nicht übersehbaren Tatsache, dass der Nichtfachmann gar nicht so genau weiß, wie ein Eberkopf aussieht. Da die Beschreibung sagte, dass ein Eberkopf gemeint war, so reichte das für den Laien hin, ihn auch zu erkennen. Der Heraldik und dem Betrachter war Genüge getan, und ein anderer Zeichner konnte den Eberkopf ja bessermachen, wie das nun auch erfolgt ist.

Das Wappen entsprach den heraldischen Regeln auch dann, wenn der Eberkopf nicht richtig getroffen war. Der Betrachter kann nicht verlangen, dass die Ausführung ihm passt, weil er es besser weiß oder weil er einen anderen Geschmack hat. In diesem Sachverhalt ist der Grund zu finden, dass die alten Wappenbilder im Laufe der Zeit modischen oder stilgeschichtlichen Wandlungen der Darstellungsart unterliegen, dennoch aber immer ihren heraldisch gleichen Inhalt besitzen.

Man hat dies nicht so breit erzählt, um einem oder anderem Unrecht zu geben, sondem als eine Art Lehrstück, wobei alle Beteiligten von Anfang an vom besten Willen beseelt waren. Darüber hinaus wird deutlich, mit welch sorgfältiger Überlegung in solchen Dingen, die Bestand haben sollen, von den Behörden zu Werke gegangen wird.